Donnerstag, 25. März 2010

"Alles nicht so schlimm"

Vortrag im Matthäus-Alber-Haus am 22.03.10 mit dem Thema: "Das islamische Erwachen" - von Gerhard Simpfendörfer, Dekan i.R.

Der Vortrag beginnt seriös und vielversprechend. Simpfendörfer empfiehlt Literatur zum Thema, (Huntington, Bassam Tibi, Küng).

Simpfendörfer spricht von einer Reformbewegung des Islam, die in den letzten Jahren eingesetzt habe. Es sei eine Reinigung und eine Auseinandersetzung mit dem Westen.

Simpfendörfer begründet den Drang des Islam, zurück zu den Ursprüngen zu streben, in der jahrelangen Demütigung, die der Islam vom Westen erfahren habe. Im 20. Jahrhundert vor allem seien den Muslimen große Kränkungen widerfahren, die jetzt in großer Wut ihren Ausdruck finden.

Diese Demütigung sei mit der Demütigung der Deutschen durch den Versailler Vertrag zu vergleichen, was letztlich dann auch zum 2. Weltkrieg geführt habe.

Simpfendörfer zitiert Bernard Lewis, der die Errungenschaften des Islam, zum Beispiel die Vermittlung der Schriften von Aristoteles an die westliche Welt, preist.

Der Islam bemerkte nicht die geistigen Umwälzungen, die in Europa stattfanden, betont Simpfendörfer. Aber man sah die Fortschritte und die technischen und wirtschaftlichen Erfolge. Die islamischen Länder wollten sich die Verwestlichung auch zu Eigen machen, aber das konnte nicht funktionieren, da die geistigen Voraussetzungen der Aufklärung, wie in Europa, nicht vorhanden waren. Die Verwestlichung war in den islamischen Ländern höchstens eine Kopie.

In vielen Ländern wurde versucht, den fundamentalistischen Islam, die Religion als solche, ja sogar das Kalifat (Atatürk in der Türkei) abzuschaffen, was als große Demütigung empfunden wurde.

Eine weitere Demütigung entstand durch die Zerschlagung des Osmanischen Reiches im 20. Jahrhundert, wo im Nahen Osten durch Einrichtung von Protektoraten, Mandaten und Kolonien und Ziehung willkürlicher neuer Grenzen neue Länder entstanden waren.

Die wohl schlimmste Demütigung war für die religiösen Islamführer die Entstehung des Staates Israel auf islamisch beanspruchtem Herrschaftsgebiet und der mehrmalige Sieg der israelischen Armee über die vereinten arabischen Streitkräfte.

Weitere Niederlagen haben, so Simpfendörfer, die Wut erhöht: der vom Westen inszenierte Golfkrieg und der Fall Bagdads (Bassam Tibi).

Man müsse verstehen, dass all diese Demütigungen die Antriebskraft für jeden Selbstmordattentäter waren und sind.

Die antiwestliche Wende im Islam entstand somit aus der Tiefe der Religion und hatte als Kernsatz eine Art Buße zur Folge, denn man hatte durch die Bestrebungen der Verwestlichung des Islam die Reinheit der Religion verraten, so Simpfendörfer. „Islamismus ist somit nichts anderes als eine Bußbewegung!“

Simpfendörfer hält fest: das Auseinanderklaffen der Weltbilder Islam und Westen begründet sich so: Für Muslime ist die Einhaltung des Gesetzes (des Koran) das höchste Lebensprinzip, für den Westen ist die Freiheit das höchste Lebensprinzip.

Im Mittelpunkt des Regelwerks Islam steht die Familie, so Simpfendörfer, und ist damit das höchste Gut, das es zu bewahren und zu schützen gilt. Daher werden die Geschlechtertrennung strikt eingehalten und Ehebruch als eine der schlimmsten Vergehen angesehen und drastisch (Steinigung) geahndet. Keuschheit ist oberstes Gebot. Die Strenge der Sharia verhindert Straftaten und Sünde und dient der Abschreckung.

Simpfendörfer erwähnt Said Qutb, der als ägyptischer Lehrer bei einem Aufenthalt in den USA den Muslimen in seiner Heimat das Gefühl der moralischen Überlegenheit beibrachte, indem er die Dekadenz, sexuelle Promiskuität und den moralischen Verfall des Westens anprangerte und seine Abscheu darüber in den Aufbau und Prägung extremistischer und islamistischer Gruppierungen umsetzte.

Der moralische Verfall, die Verführung und die militärische Übermacht des Westens (Bush im Irak), all das führt zu einem Erwachen des Islam, erklärt uns Simpfendörfer. Daher bleibt den Muslimen nur noch die Waffe des kleinen Mannes: der Terrorismus, die Terroranschläge.

Der Bruch mit dem Westen und die Aufhebung der Trennung von Staat und Religion sind die Kennzeichen des islamischen Erwachens.

Laut Simpfendörfer nötigt uns diese moralische Rückbesinnung und Erneuerung des Islam Respekt ab und lässt uns unsere Freiheiten hinterfragen. Da wir uns weltweit gesehen und in unserem Land auf eine Koexistenz mit dem Islam einstellen müssen, sollten wir darauf aus sein, den Kampf der Kulturen in einen Dialog der Kulturen zu verwandeln. Der Westen müsse endlich aufhören, den islamischen Ländern mit Gewalt zu drohen und diese mit Gewalt zu überziehen (Afghanistan).

Simpfendörfer unterscheidet zwischen drei Islam-Richtungen:

  1. Volksislam, 2. Islamismus, 3. Dschihad-Islam (Bin Laden).

Anschließend finden Diskussionen in kleinen Gruppen, in denen die Fragen auf Zettel geschrieben werden, statt.

Auf eine Frage nach den drakonischen Strafmaßnahmen nach Sharia-Recht, die bei Ehebruch angewendet werden, erklärt Simpfendörfer, dass die Todesstrafe durch Steinigung bei begangenem Ehebruch, die eindeutig nur bei Frauen angewendet wird, in ganz seltenen Fällen vorkommt. (Er meint nur von Einzelfällen in Jemen und Nigeria gehört zu haben). Auch die Männer würden Strafen für Ehebruch bekommen - aber eben andere, wie Auspeitschung. „Aber das ist alles nicht so schlimm.“ hört man darauf hin Simpfendörfer sagen. Noch immer die Fassungslosigkeit über so viel Indifferenz verarbeitend, kann man gleich darauf die Zuschauer wohlwollend dem Referenten für seinen Vortrag applaudieren hören.

1 Kommentar:

gorisnet hat gesagt…

Ja, Simpfendörfers Vortrag hat vielversprechend begonnen. Und es gab auch einige gute Ansätze. Geschockt hat mich dann aber doch die Naivität, mit der das angeblich heile muslimische Familienbild dargestellt wurde. Sozusagen als Gegenpol in Bezug auf die zunehmend scheiternden Ehen in der freien westlichen Welt. Um eines klipp und klar zu sagen: Wer türkische Frauen und Familien kennt, weiß wie sehr diese Frauen unter dieser Rollenfestlegung im Islam leiden, unter diesem ständigen Verdacht, sie seien "Schlampen und Huren" wenn sie nur mal aus dem Haus wollen. Wie sehr sie darunter leiden, dass ihre Männer sehr wohl außereheliche Beziehungen haben, sie dies alles aber tolerieren müssen. Auch wenn in muslimischen Ehen die Scheidungsrate verschwindend gering ist (vielleicht liegt es daran, dass die Frau im Falle einer Scheidung gesellschaftlich und familiär geächtet wird?): Solche Ehen wollen wir nicht haben Herr Simpfendörfer.