Freitag, 19. Februar 2010

Ein bemerkenswerter Vortrag von Muhammad Sven Kalisch


Der Vortrag von Kalisch am 11. 2. im Kupferbau in Tübingen bestach weniger dadurch, dass er einem Fachpublikum Neues gesagt hätte, sondern vielmehr dadurch, dass er ehrlich und in sehr ruhigen Ton Dinge sagte, die man so normalerweise nicht aus dem Mund eines Muslims hört, ja, die schon aus dem Munde eines Islamwissenschaftlers, also von jemandem, der als Nichtgläubiger die Religion von außen betrachtet, sehr selten sind.

Der einzige bekannte Muslim mit universitärem Hintergrund, der zu solchen Dingen ähnlich offen und ehrlich redet, ist Nasr Hamid Abu Zaid. Aber hier nun im einzelnen:

Schon in einer Vorbemerkung zum eigentlichen Vortrag machte Kalisch die Feststellung, dass Fundamentalisten zwar nicht die sympatischsten aller Gläubigen seien, aber sie hätten den Vorzug, am ehrlichsten mit der Überlieferung umzugehen, d.h., sie verstehen den Text nach dem unmittelbaren Wortsinn, wohingegen liberale Theologen den Wortsinn oft bis zur Unkenntlichkeit oder bis ins Gegenteil uminterpretieren.

Nicht nur, dass Kalisch nicht behauptet, was die Islamisten tun, hätte nichts mit dem Islam zu tun, wie wir es üblicherweise hören, nein, er sagt sogar indirekt, dass islamische Fundamentalisten nichts anderes tun, als das umzusetzen, was in den Schriften des Islams steht.

Der weitere Vortag bestand dann im wesentlichen daraus, an einigen Beispielen zu beleuchten, wie man prinzipiell mit heiligen Schriften umgehen kann und wie das konkret in der islamischen Geschichte ausgesehen hat.

Er zeigte auf, wie im islamischem Mittelalter Philosophen die Lehre von der doppelten Wahrheit entwickelten, indem sie Gedanken aufnahmen, die sie durch die Vermittlung der orientalischen Christen von den Griechen erhalten hatten.

Diese Lehre geht davon aus, dass man sowohl mit Hilfe der Philosophie, als auch mit Hilfe der Religion zu Erkenntnissen über die Welt gelangen kann, die beide gültig sind. Die Philosophen waren freilich der Ansicht, dass ihre Methode die Überlegene war, weil sie über die besseren Mittel verfügte, gaben aber auch zu, dass das einfache Volk die Religion brauche, um bestimmte moralische Grundsätze im täglichen Leben umzusetzen.

Weiter führte er aus, dass nach allgemeiner islamwissenschaftlicher Auffassung die Philosophie im islamischen Mittelalter zu einem Ende kam, weil der berühmte islamische Gelehrte al-Ghazali über die Philosophen das Urteil fällte, dass sie allesamt Ketzer seien, was nach islamischen Recht mit dem Tode bestraft wird.

Als weiteres Beispiel dafür, dass sich das islamische Recht im vieler Hinsicht der Moderne beugen muss, führte er Saudi Arabien an, wo kaum noch ein Rechtsgelehrter die Abschaffung der Sklaverei in Frage stellt, obwohl das klassische islamische Recht die Sklaverei als Institution an keiner Stelle in Frage stellt. Allerdings hat Saudi Arabien die Sklaverei als letztes Land der Welt, nämlich erst in den 60-er Jahren, abgeschafft.

Interessant war auch, dass Kalisch erwähnte, dass die Traditionalisten den Grundsatz vertreten: „der Wortlaut darf nicht angetastet werden!“ Nur in Ausnahmesituationen, die nicht von Dauer sein dürfen, ist eine andere Interpretation zulässig.

Er stellte mehrmals die rhetorische Frage, ob das völlige Weginterpretieren des Wortsinns, das man zwar für die Anpassung des Islams an die Moderne bräuchte, überhaupt noch sinnvoll sei, da man damit ja eigentlich die heiligen Texte überflüssig machen würde. Oder anders gefragt: macht es Sinn, etwas, das man für richtig hält, weil es vielleicht modern oder menschenrechtskonform ist, unter allen Umständen in die Schrift hineinzuinterpretieren?
Bemerkenswert ihm mehrfach sagen zu hören: „als ich noch ein liberaler islamischer Theologe war.“ Da man nicht behaupten kann, dass Kalisch in der Zwischenzeit ein fundamentalistischer islamischer Theologe geworden ist, drängt sich die Frage auf, als was sieht er sich heute eigentlich?

Bei der anschließenden Fragerunde wurde die interessante Frage gestellt, wie die Verbreitung einer liberaleren Theologie in der muslimischen Welt denn aussehen könnte, angesichts der Tatsache, dass jeder liberale Theologe im Nahen Osten mit drastischen Konsequenzen zu rechnen hat, wenn er nicht sogar um sein Leben fürchten muss.

Kalisch erwiderte darauf, er selbst hoffe auf eine ähnliche Entwicklung, wie sie im Christentum eingetreten ist, also eine allmähliche Zersetzung durch liberale Theologie und eine abnehmenden Relevanz der Religion, was aber mindestens einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen werde.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Des Professors Unkenntnis oder Vorsatz?

Gewiss sollte man von einem orientalistischen Islamwissenschaftler, wie Prof. Kalisch erwarten, dass er die in der islamischen Ideengeschichte diskutierten Kontroversen kennt. Deswegen tue ich mich schwer damit, wieso einem so "aufgeklärten" Professor solche gravierenden „Fehler“ ständig unterlaufen. Denn die islamische Ideengeschichte wird genau an den interessantesten Stellen ständig verdreht. Geschieht dies aus Unkenntnis oder aus Vorsatz?

In Ländern, in denen Muslime ihre eigenen Intellektuellen hervorgebracht haben, würde man Menschen wie Kalisch auslachen und sie keineswegs ernst nehmen wegen ihrer Unkenntnis bzw. ihres Vorsatzes. Doch, anscheinend können in der Bildungsrepublik Geister mit riesigen Bildungslücken Professuren besetzen und mit dem Rückenwind der nach Allwissenheit anhörenden Prof.-Titeln jedem etwas vom Pferd erzählen. Das Publikum denkt sich wahrscheinlich, wozu noch selbst nachdenken, wenn alles vorgekaut wird und in das vorhandene Weltbild wie angegossen passt. Der Gebrauch des eigenen Verstandes wäre doch nur unnötige Zeitverschwendung. Außerdem werden doch solche „allwissenden“ Prof.-Titel-Inhaber durch die Medien bejubelt. Wer möchte sich schon als ungebildet outen, lieber ruhig sein und bejubeln, um als Aufgeklärter durchzukommen als sich zum Gespött der "aufgeklärten" Nation zu machen.

Die dummen Fehler, die Prof. Kalisch ständig unterlaufen, können nicht einmal den einfachsten wissenschaftlichen Überprüfungen standhalten. Dass Al-Gazhali die Philosophie als Apostasie verteufelt habe, ist wie zumindest belesene Menschen wissen ein hausgemachter Mythos von Orientalisten. Angeblich habe Al-Gazhali durch sein Werk „Die Inkohärenz der Philosophen“ (Tahafut al falasifa) alle philosophischen und wissenschaftlichen Bemühungen für Teufelswerk erklärt und die Philosophen für Ketzer erklärt, die mit dem Tode zu bestrafen seien. Doch, wer sein Werk liest, merkt allzuschnell, dass er - selbst ein muslimischer Philosoph und Gelehrter- weder die Philosophen noch die Philosophie verurteilt, sondern allein in drei Punkten atheistische Intentionen herausgelesen und er deswegen diese für unislamisch erklärt hat. Al-Gazhali zufolge greifen diese drei atheistischen Ansichten direkt die islamische Vorstellung von Gott, die Wiederauferstehung (Jenseits) und die Endlichkeit des Universums an und sie aus diesen Gründen keinesfalls zu akzeptieren seien. Alle anderen philosophischen Fragen aber bilden legitime philosophische Diskussionen und stehen somit unter dem Schutz der Gedankenfreiheit. Zum ersten Mal machte Al-Gazhali in seinem Werk Tahafut al falasifa auf die Anomalie aufmerksam, die durch eine unreflektierte Übertragung der aristotelischen Philosophie (durch Ibn Sina) in die islamische Ideenwelt erolgte. In seinen späteren Werken revidierte Ibn Sina selbst seine nach Atheismus klingenden Ansichten. Außerdem war es Al-Gazhalis Leistung, dass die Theologie (kalam) fortan eine philosophische Legitimationsbasis erfuhr.

Es kann nicht sein, dass ein Islamwissenschaftler nicht weiß, dass die Lehre von der doppelten Wahrheit bzw. Wirklichkeit in der islamischen Welt zum ersten Mal von Al-Gazhali (weltliche und religiöse Wissenschaften) in dieser Reinform verfasst wurde, die später von Ibn Rushd (Philosophie und Religion) aufgenommen und weiterentwickelt wurde. Man vermutet, dass René Descartes (Physik und Metaphysik) bei der Ausformulierung des heute bekannten Dualismus durch die Ideen von Ibn Rushd inspiriert wurde, die später dann von Immanuel Kant (rationale und praktische Vernunft) perfektioniert worden ist.
Al-Gazhali vorzuwerfen, er habe den Fortschritt der Wissenschaften und somit die islamische Aufklärung beschnitten, kann nur das Produkt eines Vorsatzes, wenn es denn nicht aus Unwissenheit geschehen ist.

Gisela hat gesagt…

Lieber Hamza,

ich lese gerade das Buch "Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-Gazâlîs Urteil gegen die Philosophie und die Reaktion der Philosophen" von Frank Griffel, das mir ein Islamwissenschaftler, mit dem ich befreundet bin, empfohlen hat.

Darin habe ich gelesen, dass al-Ghazali tatsächlich nur die drei von Dir angegebenen Punkte zur Apostasie und damit zum Todesurteil für die entsprechenden Philosophen erklärt hat.

Wenn ich das Buch richtig verstehe, war aber das Urteil al-Ghazalis der Todesstoß für die Philosophie im sunnitischen Islam. Welcher Philosoph will sich schon der Gefahr aussetzen als Apostat getötet zu werden, zumal der Apostat ja vogelfrei wird und von jedem rechtgläubigen Muslim straflos getötet werden kann?

Nun zu Deiner Alternative "Unkenntnis oder Vorsatz": Der Vortrag von Kalisch war lang und durchaus komplex und ich weiß nicht, ob ich jedes Detail seiner Ausführungen richtig verstanden und wiedergegeben habe.

Der Vortrag erschien mir aber nach meinen Kenntnisstand richtig und redlich, was leider die große Ausnahme ist, wenn Muslime über ihren Glauben referieren.

Ich habe schon mit viele Dutzenden Muslimen über ihren Glauben geredet, nicht selten stunden-, ja tagelang mit ihnen zusammen gesessen und dem gelauscht, was sie zu sagen hatten.

Ich musste dabei erfahren, dass viele erschreckend wenig über ihren eigenen Glauben wissen, und dass diejenigen, die sich auskennen, ganz überwiegend nicht redlich Auskunft geben, sondern ganz verbreitet lügen und täuschen.

Es scheint darum zu gehen den Islam so positiv wie möglich darzustellen, auf Ehrlichkeit scheint es dabei nicht anzukommen.

Natürlich gibt es Ausnahmen, Fundamentalisten im Nahen Osten beispielsweise sagen einem oft die Wahrheit, oder aufgeklärte und kritische Muslime hier im Westen.

Das die Lüge das Normale ist und nicht die Aufrichtigkeit, erkennt man daran, dass eine Unzahl von Lügen, die den Islam in eine falschen, positiven Licht erscheinen lassen, von so gut wie keinem Muslim richtig gestellt werden.

Beispielsweise werden Aussagen, wie etwa dass der Islam die Zwangsverheiratung verbiete, von keinen Muslim, der sich im islamischen Recht auskennt, öffentlichkeitswirksam korrigiert.

Dass Wörter wie "wali mudschbir" oder "wilayat al-idschbar" ganz gewöhnliche islamische Rechtsbegriffe sind, die die Institution der Zwangverheiratung terminologisch fassen, wird geflissentlich verschwiegen.

Es wäre schön, wenn Du, als eine Person, die sich offensichtlich in der Materie auskennt und nach Ausweis des Namens eine islamischen Hintergrund hat, hier Aufklärungsarbeit leisten würdest.

Von muslimischer Seite auch unschöne Tatsachen über den Islam redlich zu referieren, würde das weiten Teilen der Öffentlichkeit zerstörte Vertrauen im christlich-muslimischen Dialog vielleicht wieder herzustellen helfen.

Herzliche Grüße

Gisela